INSERT-Vorgehensmodell

Phase 2: Durchführung der Transformation

Die Durchführungsphase kann als Herzstück der gesamten agilen Transformation bezeichnet werden. In dieser Phase werden auf mehreren Ebenen Anpassungen an der Organisation vorgenommen und Schritt für Schritt das Zielbild der Transformation erreicht.

Die Durchführungsphase ist in sich komplett agil organisiert und basiert somit auf Iterationen in denen Feedback aus der Organisation eingeholt und fortlaufend Optimierungen sowie Anpassungen vorgenommen werden können. Die Durchführung der Transformation lässt sich insgesamt in drei Phasen unterteilen: Die Anlaufphase, die Pilotphase und die Phase der Skalierung und Etablierung. Diese drei Phasen werden nun im Detail vorgestellt.

Anlaufphase

Die Anlaufphase steht zu Beginn der Durchführung der Transformation und ist wie alle Phasen ab diesem Zeitpunkt der Transformation in Iterationen von zwei bis maximal vier Wochen organisiert. Für das Transformationsteam besteht das Kernziel der Anlaufphase darin alle notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen, um mit der Durchführung von Pilotprojekten starten zu können. Ein weiterer Fokus des Teams liegt auf der Beseitigung von identifizierten unternehmensindividuellen Hindernissen. Die Tätigkeiten der Anlaufphase lassen sich in fünf Kernbereiche zusammenfassen:

1. Erstellung von Plänen

Im Rahmen der Anlaufphase werden Budget-, Kommunikations-, Trainings-, Entwicklungs- und Raumpläne erstellt. Für diese Pläne kann im Wesentlichen auf existierende Formate und Best Practices, auch aus der klassischen Welt zurückgegriffen werden. Wichtig ist bei der Erstellung dieser Pläne jedoch diese iterativ in Zusammenarbeit mit der jeweiligen Zielgruppe zu erarbeiten und die Charakteristika einer agilen Transformation zu berücksichtigen. Bei der Erstellung des Budgetplans sind insbesondere Aufwände für Training und Coaching der Teams sowie für den Personaleinsatz des Transformation Teams zu berücksichtigen.

2. Rahmenbedingungen für Piloten schaffen

Das Transformationsteam befasst in der Anlaufphase ebenfalls damit die Rahmenbedingungen für die Durchführung von Piloten in der nachfolgenden Pilotphase zu schaffen. Hierbei geht es sowohl darum einen Prozess zur Auswahl von Piloten zu definieren als auch ein Unterstützungskonzept für diese zu erarbeiten und erste Hindernisse aus dem Weg zu Räumen. Der Prozess zur Selektion von Piloten lässt sich wie folgt darstellen.

Zunächst sind die Ziele und der Wert des Themas zu untersuchen. Die Pilotthemen sollten werthaltig für das Unternehmen sein und auch von den Zielen prinzipiell für ein agiles Vorgehen geeignet sein.

Darauffolgend untersucht das Transformationsteam zusammen mit den Themenverantwortlichen die Erwartungen der Organisation an das Thema. Hierbei werden die Ziele mit den Erwartungen der Organisation gegenübergestellt. Ziel ist die Überprüfung, was die Organisation mit dem Thema erreichen möchte, wie viel Zeit zur Zielerreichung bleibt und wie hoch der Druck ist.

Stimmen die Ziele mit den Erwartungen überein und besteht kein außerordentlich hoher Ergebnisdruck, erfolgt die Überprüfung der Projektkriterien. Hierbei werden mindestens acht Kriterien in Hinblick auf die Eignung des Themas für agile Arbeitsweisen untersucht und nach einem Scoring Modell bewertet. Diese Kriterien umfassen am Beispiel eines Rating Schemas von 1 bis 10:

  1. Teamgröße (groß = 1, klein = 10)
  2. Dauer (lang = 1, kurz = 10)
  3. Wichtigkeit für das Management (niedrig = 1, hoch = 10)
  4. Unsicherheit der Anforderungen (niedrig = 1, hoch = 10)
  5. Co-Lokation (keine Co-Lokation = 1, vollständige Co-Lokation = 10)
  6. Kundenbereitschaft und -Verfügbarkeit (niedrig = 1, hoch = 10)
  7. Mitarbeiterbereitschaft und -Verfügbarkeit (niedrig = 1, hoch = 10)
  8. Product Owner Bereitschaft und Verfügbarkeit (niedrig = 1, hoch = 10)

Diese Kriterien können um unternehmensindividuelle Faktoren ergänzt werden. Anhand der exemplarischen Skalenwerte wird ersichtlich, dass als Piloten insbesondere möglichst überschaubare Projekte mit einer hohen Wichtigkeit für das Management geeignet sind, bei denen Kunde, Mitarbeitende und Product Owner bereit und verfügbar sind, eine Co-Lokation des Teams vorliegt und eine gewisse Unsicherheit bei den Anforderungen vorliegt.

Im letzten Prozessschritt werden die Themen anhand einer Skala geordnet. Werden nur die vorgegebenen Kriterien genutzt, ergibt sich ein möglicher Gesamtscore von 80 Punkten. Die Skala lässt sich für diesen Fall wie folgt darstellen:

1. Score >= 64:
Das Thema ist für eine Umsetzung mit agilen Arbeitsweisen geeignet.

2. Score <64 und >=32:
Für das Thema können hybride Arbeitsweisen genutzt werden.

3. Score <32:
Das Thema sollte eher mit phasenorientierten oder anderen Arbeitsweisen umgesetzt werden.

Durch dieses Vorgehen wird sichergestellt, dass nur für agile Arbeitsweisen geeignete Themen im Rahmen der Pilotphase umgesetzt werden. Zusätzlich wird das Risiko für ein Scheitern aufgrund einer unpassenden Arbeitsweise minimiert. Für die selektierten Piloten kann nun ein detailliertes und unternehmensindividuelles Unterstützungskonzept erarbeitet und angewendet werden.

3. Organisation der Zukunft konkretisieren

In der Vorbereitung der Transformation wurde eine Vision und die Zielebene des Maturity Models definiert. Im ersten Schritt der Umsetzung der Transformation zieht das Transformationsteam diese Definition nun heran, um eine erste mögliche Skizze der Organisation der Zukunft zu erstellen. In der Umsetzung untersucht das Transformation Team, wie dieses Ziel erreicht werden kann und welche Anpassungen an der Organisation dafür notwendig sind. In der Praxis greifen viele Unternehmen hierfür sofort zu prototypischen agilen Organisationsformen, wie dem Spotify Modell und fangen an Tribes, Chapters, Guilds und Squads entsprechend dieser Methodik aufzubauen.

Der Hintergrund hierfür ist, dass zwar der Eindruck von Benchmark-Fähigkeit vermittelt wird, jedoch die Individualität des Unternehmens und oftmals auch eine tiefere Beschäftigung mit den notwendigen Schritten vernachlässigt wird. Im Ergebnis wird die Ausgangsorganisation im Wesentlichen nur umbenannt. An der Arbeitsweise und den Prozessen drumherum ändert sich jedoch wenig. Daher ist an dieser Stelle eine intensive Auseinandersetzung mit dem Unternehmensaufbau, den Zielen und potenziellen agilen Organisationsmodellen an dieser Stelle von besonderer Wichtigkeit. Erst nachdem identifiziert wurde, wie und an welchen Stellen Agilität dem Unternehmen helfen kann und was generell erreicht werden soll, kann das am besten passende Organisationsmodell gewählt werden.

4. Transformation messbar machen

Um frühzeitig zu definieren, was mit der Transformation erreicht werden soll und wie sich der Erfolg messen lässt, ist die Definition von Messkriterien von entscheidender Bedeutung für die agile Transformation. Diese Messkriterien lassen sich aus den zuvor definierten Zielen ableiten und bspw. in Form von OKRs festhalten und operationalisieren. Darüber hinaus können sogenannte Pulse Checks mit den Mitabreitenden durchgeführt werden, um die Akzeptanz und Durchdringung agiler Arbeitsweisen auf operativer Ebene nachvollziehen zu können. Ebenfalls empfiehlt sich an dieser Stelle die Einbeziehung von Mitbestimmungsgremien, um vom Erfahrungsschatz und Kenntnis der Belegschaft profitieren zu können.

Ein häufiger Praxisfehler: Mechanische Messkriterien wie bspw. „x % unserer Mitarbeitenden sind in Scrum geschult“ sind an dieser Stelle nicht als primäre Messkriterien zu empfehlen, da sie alleinstehend keine Aussagekraft zum Fortschritt der Agilen Transformation beinhalten. Selbst wenn 100 % der Mitarbeitenden in einer Methode geschult sind, heißt dies nicht, dass Agilität auch gelebt wird, die Time-to-Market oder die Kundenzufriedenheit sich verbessert haben. Im Schlimmsten Fall sagt diese Zahl nur aus, wie viel Geld bereits ausgegeben wurde, ohne jedoch einen dadurch erwirtschafteten Nutzen zu betrachten.

5. Wandel greifbar machen

Im Rahmen der Anlaufphase ist es ebenfalls wichtig den bevorstehenden Wandel für die Mitarbeitenden des Unternehmens greifbar zu machen. Hierfür können das Agile Transformation Canvas (Mehr siehe Vorbereitung der Transformation, Agile Assessment) oder eine Roadmap der Agilen Transformation genutzt werden. Durch diese Formate werden für die Mitarbeitenden der Umfang und die Beweggründe für die agile Transformation ersichtlich und ein einheitliches Verständnis über die Transformation wird geschaffen.

Pilotphase

Nach der Anlaufphase folgt die strukturierte Erprobung agiler Arbeitsweisen durch die Pilotteams innerhalb der Piloten. Die Pilotphase ist, wie alle anderen Phasen der Durchführung der Transformation auch, iterativ organisiert, um Feedback aus den Piloten schnell aufnehmen und schnell Veränderungen realisieren zu können. Kernziele der Phase sind die strukturierte Erfahrungssammlung mit agilen Arbeitsweisen im Rahmen der Piloten sowie die Vorbereitung der Phase der Skalierung und Etablierung. Begleitet wird die gesamte Phase im Rahmen des operativen Change Managements (Mehr siehe Agiles Change Management)

Strukturierte Erfahrungssammlung

Für die Piloten steht die Adaption agiler Prinzipien und Praktiken an erster Stelle. Hierfür ist ein an Deming orientierter Zyklus zur Adaption agiler Praktiken auf Teamebene zu empfehlen.

Der Zykluseinstieg liegt in der Phase der Auswahl von Praktiken welche parallel zu einer neuen Iteration des Teams startet. Das INSERT-Framework sieht an dieser Stelle vor, dass eine Datenbank existiert, welche Methoden und Praktiken bereits im Unternehmen genutzt werden und wie das Coaching für diese Methoden organisiert ist. So wird die methodische Kompetenz sichergestellt. Sobald die (zusätzlichen) Praktiken für die nächste Iteration identifiziert wurden, wendet das Team diese in der nächsten Phase des Zyklus an. Das Team und der Agile Coach überprüfen die Anwendung am Ende der Iteration in der dritten Phase des Zyklus und nehmen gegebenenfalls im nächsten Schritt Anpassungen vor. Damit startet der Zyklus erneut und weitere Praktiken können adaptiert werden. Der gesamte Zyklus wird durch das Agile Coaching unterstützt, welche wiederum Feedback an das zentrale Transformation Team geben, um Probleme und Fortschritte der Teams weiterzugeben (Mehr siehe Agile Coaching).

Vorbereitung der Skalierungs- und Etablierungsphase

Auf Basis der Erkenntnisse aus den Piloten sowie den weiteren Erfahrungen des Transformation Teams können Veränderungen an der Organisation vorgenommen werden, um agile Arbeitsweisen im Unternehmen weitreichend nutzbar zu machen. Darüber hinaus finden Verhandlungen mit Mitbestimmungsgremien statt, um die organisatorische Umstellung bestmöglich zu begleiten.

Skalierung und Etablierung

In der letzten Phase der Transformation werden Strukturen und Prozessen umgestellt, der „Human Changes“ im Rahmen des agilen Change Managements (Mehr siehe Agiles Change Management) begleitet und nach kontinuierlicher Verbesserung gestrebt.

In diesem Rahmen erfolgt je nach Veränderungsansatz ein vollumfänglicher oder schrittweiser Launch der neuen Organisation gepaart mit neuen Prozessen und weiteren organisatorischen Anpassungen. Darüber hinaus ist ein wichtiger Faktor, dass agile Arbeitsweisen in allen Bereichen genutzt werden können und die Vernetzung der Wissensträger weiterhin funktioniert.

Das Streben nach kontinuierlicher Verbesserung stellt den letzten Schritt des agilen Transformationsprogramms und somit den Übergang in einen Regelbetrieb dar. Hierbei wird die vorab definierte Zielerreichung überprüft und untersucht, ob sich das Unternehmen in einem permanenten Optimierungsgedanken befindet, in dem kontinuierlich Verbesserungsmöglichkeiten identifiziert und realisiert werden. Liegen beide Faktoren vor, wird die Transformation abgeschlossen, das Transformation Team aufgelöst und die Aufgabe der permanenten Optimierung der (agilen) Arbeitsweisen in die Organisation übergeben.